Leon Weber
Frage 1: Inwieweit stellt der Klimawandel nach Ihrer Auffassung eine Bedrohung für die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt und das Leben der Bürger*innen dar und welche Priorität wollen Sie dem Klimaschutz im Rahmen Ihrer Arbeit als Stadtverordnete(r) einräumen?
Europa erhitzt sich doppelt so schnell wie der globale Schnitt. In Potsdam können wir bereits spüren, wie rasant diese Entwicklung ist und wie schwer es sein wird, sie zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Als ich 2018 in Lyon war, konnte ich bereits aus erster Hand erleben, wie Menschen reihenweise aufgrund von Hitze umgekippt sind. Das Problem hat sich seitdem nur verschlimmert und dasselbe kann bei uns beobachtet werden. Es wird auch dieses Jahr wieder Waldbrände und Hitzerekorde in unserer Region geben. Sozioökonomischen Faktoren wird in dieser Frage auch selten eine angemessene Rolle zugeschrieben. Es ist jedoch auch belegt: Besonders stark betroffen sind, wie so oft, die schutzbedürftigen Menschen in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns beiden Problemen annehmen. Meine Hauptforderung für diese Wahlperiode ist ein strukturell gesichertes Klimaschutzmanagement. Die Koordinierungsstelle muss verstärkt werden – und zu einer unabhängigen Klimaschutzagentur werden. Ich halte nicht viel von Beratung, sondern möchte Expert*innen ans Steuer setzen.
Frage 2: Welche Rolle messen Sie Dach-PV-Anlagen zur Dekarbonisierung der Stadtgesellschaft bei? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass der Ausbau von Photovoltaik insbesondere zur günstigen Eigenversorgung mit Strom auch im Innenstadtbereich zukünftig leichter möglich wird?
Die marktgetriebenen, individuellen Lösungswege sehe ich als scheinheilig an. Es müssen politische Entscheidungen getroffen werden, um den Klimaschutz zu gewährleisten und zu fördern. Eine so große Krise ist nicht individuell. Selbstverständlich ist die Photovoltaik im Bestreben, unsere Energie aus diversifizierten und dezentralen Quellen zu beziehen, entscheidend. Unser Denkmalschutz muss angepasst werden, um weitere Möglichkeiten zu eröffnen und wir sollten auch sonst mehr Möglichkeiten zur Nutzung und Investition in nachhaltige Energien schaffen, wie z.B. auch kompakte Balkonkraftwerke. Im Endeffekt müssen wir unser Klimaschutzmanagement auf jegliche Bauvorhaben beziehen: Renovierungen, als auch Neubauten, müssen auf ihre Nachhaltigkeit in allen Sinnen geprüft und ergänzt werden. Wir dürfen dabei aber nicht unseren Fokus einzig und allein auf Photovoltaik legen. Es gilt auch die Energieeffizienz zu verbessern, um weniger zu konsumieren.
Frage 3: Welche Chance und Herausforderungen sehen Sie in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zum zügigen Aus- und Aufbau der erneuerbaren Energien als Herzstück einer bezahlbaren, sicheren und umweltverträglichen Energieversorgung in Potsdam.? Wo sehen Sie Ihre Einflussmöglichkeiten bei der Umsetzung?
Potsdam hat die Tendenz, sehr eigenbrötlerisch zu sein. Es muss in allen Belangen auch mit unserem Umland kooperiert werden, welches als ländliche Region noch einmal mehr betroffen ist, als unsere Stadt es je sein wird. Es ist auch in unserem Sinne, dass wir unsere Kräfte bündeln. In anderen Städten und Kreisen hat sich gezeigt, dass so eine Kooperation sehr viele Chancen eröffnet und auch oft weitere finanzielle Mittel ermöglicht. In solchen Kooperationen steckt oft auch Potenzial für mehr als Klima: Bildung, Mobilität, und so weiter. Der Beschluss ist für unsere Stadtentwicklung sehr zu begrüßen.
Frage 4: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Potsdamer Bürgern bei der notwendigen Umgestaltung ihrer Wärmeversorgung Orientierung zu geben und wie kann der Umbau sozialverträglich bis 2045 gelingen?
Bis wir im Jahr 2045 angekommen sind, werden wir sehen, dass die Dringlichkeit gegeben ist, noch schneller zu agieren. Ich schließe mich den Forderungen von FridaysForFuture an, jegliche Maßnahmen zum Nettonull bis 2035 zu erreichen. Weiterhin sehe ich die Pflicht bei der Stadt und nicht bei den Bürger*innen. Es muss sich der Verantwortung angenommen werden, man muss beraten und man muss unterstützen. Einen sozialverträglichen Weg wird es nur geben, wenn wir uns dafür einsetzen, dass die finanziellen und logistischen Mittel bereitstehen.
Frage 5: Mit welchen Ansätzen kann Potsdam den Bedarf an sozialverträglichem Wohnraum bedienen, ohne die selbstgesetzten Klimaschutzziele zu verletzen?
Eine dezentrale Stadtplanung, auf die ich in der nächsten Antwort mehr eingehen werde, könnte einen erheblichen Beitrag dazu leisten. Außerdem müssen die Wohnungsbaugesellschaften zu den Bedürfnissen der Bürger*innen verpflichtet werden. In Potsdam muss jedes Bauvorhaben auf die Klima- und Sozialverträglichkeit geprüft werden. Der Wohnungsmarkt ist profitabel genug, dass wir als Bürger*innen auch etwas verlangen dürfen. Es geht darum, die Bauvorhaben in der Stadt zu kontrollieren und darauf auszulegen, was dem Bedarf unserer Bürger*innen entspricht. Ein Bauvorhaben, wie z.B. jenes am Nuthewäldchen ist völlig unzulässig. Stattdessen sollte man seine eigenen Interessen verteidigen können und innovative Bürgerprojekte fördern. Potsdam hat eine reiche Kultur an Hausprojekten. Diese Bürgerbeteiligung schätze ich sehr, vor allem, weil sie nachhaltige Lebensentwürfe fördert und die Bindung an die Stadtgemeinschaft nicht vernachlässigt. Wir sollten uns ein Beispiel daran nehmen und mit diesen Menschen ins Gespräch gehen. Sie haben sicher viele tolle Ideen und Lösungsansätze, die sich bereits erprobt haben. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sind darin entscheidend und müssen entsprechend gestärkt werden.
Frage 6: Mit welchen weiteren Maßnahmen möchten Sie den Fuß- und Radverkehr als Alternative zum motorisierten Individualverkehr in Potsdam insbesondere in der Innenstadt anreizen?
Wir müssen uns dringend darum bemühen, dass unsere Stadt dezentraler wird: Es braucht Bürgerservicezentren in jedem Stadtteil. Es wäre sehr wünschenswert, wenn es überall wahre Stadtteilzentren, wie beispielsweise in Babelsberg, gibt. In unserer Stadt wird viel auf den Tourismus angelegt, was den Bürger*innen nicht immer zugutekommt. Im Schlaatz oder am Stern ist man auf einen lückenhaften öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Es sollte gar nicht erst notwendig sein, dass man für wichtige oder alltägliche Angelegenheiten weit reisen muss. Die Innenstadt sehe ich als absolut unnötig zugepflastert. Es gibt keinen Bedarf für den motorisierten Individualverkehr dort, warum tun wir uns das an?