Dr. Annerose Nisser
Frage 1: Inwieweit stellt der Klimawandel nach Ihrer Auffassung eine Bedrohung für die Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt und das Leben der Bürger*innen dar und welche Priorität wollen Sie dem Klimaschutz im Rahmen Ihrer Arbeit als Stadtverordnete(r) einräumen?
Klimaschutz ist das Thema, das mich zu Bündnis 90/Die Grünen gebracht hat, und dem ich mich im Falle meiner Wahl als Stadtverordnete prioritär widmen will. Gleichzeitig weiß ich, dass Klimaschutz nur erfolgreich sein kann, wenn wir ihn mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand verknüpfen. Für diese Verknüpfung möchte ich mich auf lokaler Ebene einsetzen. Folgen des Klimawandels sehen wir in Potsdam bereits heute deutlich mit eigenen Augen. Mir sind die alten historischen Eichen, wie sie tot und kahl gen Himmel ragen, bei jedem meiner Spaziergänge auf dem Ruinenberg ein Mahnmal. Innerhalb Deutschlands gehört Brandenburg zu den Regionen, in denen es besonders viele heiße Tage gibt. Zusätzlich wird innerhalb Potsdams die Temperatur im Zuge des Klimawandels stärker steigen als auf dem Land – was auf die städtischen Mikrolagen zurückzuführen ist.(https://www.potsdam.de/system/files/documents/06_stadtklimatisches_vergleichsszenario_2050_potsd am.pdf) Dies bedeutet erhebliche Belastungen in den heißen Sommermonaten besonders für alte Menschen, Kinder, Menschen mit chronischen Erkrankungen und Menschen, die körperliche Arbeit im Freien ausführen. Frischluftschneisen und kühlendes Stadtgrün werden bei der Stadtplanung an Bedeutung gewinnen und müssen heute schon berücksichtigt werden. Neben Dürre und Wasserknappheit wird auch die Starkregengefahr steigen. Um Anwohner vor gefluteten Kellern und Überschwemmungen zu schützen, müssen Schwammstadtkonzept und Wassermanagement stärkere Berücksichtigung finden.
Frage 2: Welche Rolle messen Sie Dach-PV-Anlagen zur Dekarbonisierung der Stadtgesellschaft bei? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass der Ausbau von Photovoltaik insbesondere zur günstigen Eigenversorgung mit Strom auch im Innenstadtbereich zukünftig leichter möglich wird?
Das Potential für Dach-PV-Anlagen ist erheblich, was unter anderem das Solarkataster Potsdam zeigt („Online-Solarpotenzialanalyse für Hausdächer in Potsdam“) (https://solar-potsdam.ipsyscon.de/de/kartenanwendung/) Für Energiewende, Wärmewende und Mobilitätswende wird der zusätzliche grüne Strom dringend benötigt. DachPV-Anlagen nutzen vorhandene Flächen und ermöglichen, dass Strom dort produziert wird, wo er verbraucht wird – was die Netzinfrastruktur entlastet. Zudem können so Bürgerinnen die Energiewende in die eigene Hand nehmen. Strenge Gestaltungssatzungen machen heute Dach-PV-Anlagen vielerorts in Potsdam unmöglich. Den Gestaltungssatzungen verdanken wir Potsdams attraktives Stadtbild, aber sie stammen aus einer Zeit, zu der sich die Klimakrise noch nicht mit der heutigen Deutlichkeit gezeigt hat. Sie müssen deshalb für das gesamte Stadtgebiet so angepasst werden, dass DachPV- und Solarthermieanlagen deutlich häufiger möglich werden.
Frage 3: Welche Chance und Herausforderungen sehen Sie in dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zum zügigen Aus- und Aufbau der erneuerbaren Energien als Herzstück einer bezahlbaren, sicheren und umweltverträglichen Energieversorgung in Potsdam? Wo sehen Sie Ihre Einflussmöglichkeiten bei der Umsetzung?
Im Beschluss der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, die Strom- und Wärmeerzeugung der EWP bis 2035 sozial verträglich fossilfrei zu gestalten, sehe ich ein klares, richtungsweisendes Zeichen für unsere Stadt, das mich auch persönlich sehr gefreut hat. Für eine erfolgreiche Umsetzung werden die Frage nach der Finanzierung und die Akzeptanz in der Bevölkerung entscheidend sein. Ich begrüße es, dass die EWP vorhandene Fördermöglichkeiten nutzt und sich offen für die finanzielle Beteiligung durch Menschen vor Ort zeigt, zum Beispiel im Rahmen von Bürgerenergiegenossenschaften. So können die Menschen vor Ort Teilhaber des wirtschaftlichen Erfolgs der Energiewende werden. Die Stadt als Miteigentümerin der EWP wird eine wichtige Rolle dabei spielen, solche Finanzierungs- und Beteiligungsmodelle zu ermöglichen und zu gestalten.
Frage 4: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Potsdamer Bürger*innen bei der notwendigen Umgestaltung ihrer Wärmeversorgung Orientierung zu geben und wie kann der Umbau sozialverträglich bis 2045 gelingen?
Um Potsdamer Eigentümerinnen und Mietern Orientierung zu geben, wird die Kommunale Wärmeplanung eine zentrale Rolle spielen. Die Kommunale Wärmeplanung ist durch Bundesgesetzgebung verpflichtend vorgeschrieben und wird für Potsdam spätestens 2028 zur Verfügung stehen – je früher, desto besser. Auf dem Weg dorthin sollte die Stadt Informations- und Beteiligungsformate nutzen und mit Bürgerinitiativen, wie z.B. der „Initiative Wärmewende Brandenburger Vorstadt“ in engem Austausch stehen. Dies beinhaltet auch die kontinuierliche Information über Zwischenergebnisse, um die Bevölkerung möglichst frühzeitig darüber zu informieren, wie die Strategie für das jeweilige Quartier aussehen wird. Die Frage nach einem sozialverträglichen Umbau wird zusammen mit der folgenden Frage 5 beantwortet.
Frage 5: Mit welchen Ansätzen kann Potsdam den Bedarf an sozialverträglichem Wohnraum bedienen, ohne die selbstgesetzten Klimaschutzziele zu verletzen?
Eine zentrale Rolle wird die Dekarbonisierung der Fernwärme spielen. Für Potsdam gilt, auch dank der überaus erfolgreichen Tiefengeothermiebohrungen: Treibhausgasemissionen lassen sich deutlich kosteneffizienter über eine Dekarbonisierung der Fernwärme als über Dämmungs und Sanierungsmaßnahmen erreichen. Gaspreise werden insbesondere bedingt durch den europäischen Emissionshandel ab 2027 stark steigen – durch die Dekarbonisierung der Fernwärme lässt sich eine stetige Steigerung der Wohnnebenkosten verhindern. Da die EWP für den klimaneutralen Umbau auf Fördermittel zurückgreifen kann, sich die Investitionen amortisieren und laufende Kosten vergleichsweise gering sind, ist damit zu rechnen, dass der Umbau zu keiner zusätzlichen finanziellen Belastung für Fernwärmekunden führt. Dies bedeutet mit anderen Worten: die notwendigen Investitionskosten für die Dekarbonisierung der Fernwärme werden nicht zu steigenden Wohnnebenkosten für Anwohner*innen, sondern im Gegenteil zu einer Stabilisierung führen. Für Neubauten mit Fernwärmeanschluss gilt: Wenn die Fernwärme dekarbonisiert wird, können Fördergelder aus dem Bundesförderprogramm „Klimafreundlicher Neubau“ in Anspruch genommen werden. Hierdurch sinken Baukosten auch für sozialen Wohnungsbau, was sich positiv auf die Mieten auswirken kann.
Frage 6: Mit welchen weiteren Maßnahmen möchten Sie den Fuß- und Radverkehr als Alternative zum motorisierten Individualverkehr in Potsdam insbesondere in der Innenstadt anreizen?
Potsdam ist in den vergangenen Jahren für Fußgängerinnen und Radfahrer bereits deutlich attraktiver geworden, aber es bleibt noch einiges zu tun. Damit in der Innenstadt der motorisierte Individualverkehr weiter abnimmt, müssen sich mehr Menschen mit ÖPNV und Fahrrad auf den Weg in die Innenstadt machen. Das werden sie dann tun, wenn sich eine Fahrradfahrt an allen Stellen des Weges sicher anfühlt und sich das Ziel auch erreichen lässt ohne eine Lunge voller Autoabgase. Als Mama ohne Auto, die ihr Kind mit dem Fahrrad zur Kita bringt – oder bei Regen auch mal mit dem Bus –, ist dies für mich ein persönliches Anliegen. Im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen haben wir viele gute Ideen zusammengetragen, hiervon möchte ich gerne folgende herausgreifen:
• Vom Autoverkehr baulich getrennte Radwege mit angemessener Breite, auf denen sich Fahrradfahrer*innen auch zwischen Stadtteilen sicher und ohne Unterbrechung bewegen können
• Mehr und sicherere Möglichkeiten, Fahrräder abzustellen
• Kopfsteinpflaster: Fahrradfreundliche Anpassung der Pflasterung – beim Ausbau des Fernwärmenetzes böte sich eine perfekte Gelegenheit.
Und um hier die Gelegenheit zu nutzen, das einmal klarzustellen: Natürlich gibt es in einer autoarmen Innenstadt Handwerker- und Dienstleisterparkausweise und Parkgenehmigungen für mobilitätseingeschränkte Personen. Es geht aber vielmehr darum, die Innenstadt lebenswerter, grüner und sicherer zu machen und nicht zuletzt auch Umsätze für das lokale Gewerbe zu steigern: Laufkundschaft kommt, wie der Name schon sagt, zu Fuß und nicht mit dem Auto.